Regel 27: Trinken Sie Champagner nur zu besonderen Anlässen!

Perlage vor die Säue




Regel 27: Trinken Sie Champagner nur zu besonderen Anlässen!

Perlage vor die Säue

Trotz meiner fortdauernden Bemühungen, der Gesamtmenschheit Wohl und Nutzen des anlasslosen und jederzeit möglichen Champagnergenusses näherzubringen, bleibt fürs Erste die Orthodoxie fest verankert. Letztere besagt, dass man ja Champagner eigentlich nur zu ganz besondersten Anlässen aufmachen darf, allermaximalstens einmal im Jahr. Am besten zu einem Anlass, bei dem eh schon haufenweise Geld rausgehauen wird und das bisschen Champagner auch keinen großen Unterschied mehr macht. Meine unkonventionelle Herangehensweise, dass Champagner gerade dann geöffnet werden muss, wenn es keinen Anlass, aber eine gute Gelegenheit gibt, bleibt weiterhin eine weltanschauliche Rarität. Das Champagnermarketing hat ja jede Menge Zitate und Bonmots auf Lager, dahingehend, dass Champagner quasi immer eine gute Idee wäre. Aber die Assoziation mit Luxus und dem ganz Besonderen ist den Marken dann doch zu wichtig um sie durch die blasphemische Vorgabe zu ersetzen, dass es sich um großartigen Wein handelt, den man trinkt, wenn man Lust drauf hat. Soviel zur Theorie, aber die Praxis sieht dann wie immer anders aus. Teuren und ohnehin übersättigenden Anlässen noch mehr Geld und nicht ganz preiswertes Genussgut anzuhängen mag zwar der Ein oder Andere für etwas verschwenderisch erklären, quasi Perlage vor die Säue. Aber so will es halt die Tradition.

Aber da bietet sich nun eine Gelegenheit, da Weihnachten definitiv nur einmal im Jahr stattfindet, definitiv ein besonderer Anlass ist und üblicherweise auch nicht daran gespart wird, das Fest mit allerhand flüssigen und überflüssigen Köstlichkeiten (naja, your mileage may vary) vollzustopfen. Es ist also definitiv eine mit breitem Konsens anerkannte Champagnergelegenheit (im Gegensatz z.B. zu einer gewöhnlichen Zugfahrt von Berlin nach Hamburg), und wenn man eh schon dabei ist, so richtig einen rauszuhauen, kann man auch noch die paar Euro drauflegen um vielleicht auch mal eine gute Flasche Schampus zu schlürfen. Die 10 Euro Supermarktwitwe kann man so endlich durch ein vernünftiges Getränk ersetzen und sich die Sache mit konsensfähigen Weisheiten wie "Es ist schließlich Weihnachten", "man lebt nur einmal“ oder "man gönnt sich ja sonst nüscht“ schönreden. Zumindest mit Bezug auf Champagner stimmt ja letzteres meist sogar.

Wer sich über Verschwendung (gerade!) zu Weihnachten besorgt zeigt, der sei hiermit beruhigt, beim Champagner gibt es auch ganz sicher keinen Spuckschluck (also der schale Rest der in der Bierflasche bleibt, weil ihn niemand möchte). Aber der Preis ist ja auch nicht bei 79 Cent sondern eher bei 79 Euro. Da wird dann auch nichts weggekippt und das Gewissen kann (warum auch immer) für ein weiteres Jahr beruhigt bleiben. Wenn Sie also tatsächlich eine Gelegenheit brauchen um zum König der Schaumweine zu greifen, dann greifen Sie doch an Weihnachten. Und bei so viel Gelegenheit und so wenig Bedenken kann man auch mal richtig zulangen, in dem Fall ins obere Champagnerregal. An den paar Euro soll es nicht scheitern und wer weiß, vielleicht landen Sie einen Volltreffer und erwischen mal eine richtig gute Pulle.

Richtig gut, wie zum Beispiel:

Um 30 Euro
Drappier Carte d’Or - Ein feiner Klassiker der sich mit seinem etwas volleren Stil auch zu Weihnachten nicht verdrängen lässt. Überhaupt dürfen Sie gern alles von Drappier mal probieren.

Um 40 Euro
Alfred Gratien 2005 oder 2006 - Ein Holzfasschampagner (also der Grundwein, pünktlich zur zweiten Gärung natürlich in die Flasche umgezogen) der abgeht wie eine etwas voreilige Silvesterrakete die mit einem Polenböller beladen ist. Ein richtiger Klassewein (in seiner Klasse sehr moderat bepreist) und nichts was man Ihnen bei Ihrer angestammten Fischbude auf Sylt hinstellt.

Um 50 Euro
Françoise Bedel Entre Ciel et Terre - Winzerchampagner aus der westlichsten Champagne, Pinot Meunier (Sehr irreführend auf Deutsch: Schwarzriesling!) dominierte Gegend und Wein. Als echtes Winzerprodukt dann auch ein eigenständiger Dickkopf von Wein. Furchtbares neues Etikett, im Geschmack dann eine ebenfalls eigenständige Kombination aus Roggenbrot, Walnussschale und sehr reifen Zitronen. Mega.

60 Euro +
Ab hier stehen Ihnen natürlich alle Wege offen. In diesem Preisbereich finden Sie alles, was das Champagnerherz begehrt. Jahrgangschampagner der großen Namen, abgefahrene Rosés, Winzerchampagner in Kleinstauflage, Special Club Champagnerabfüllungen, sogar die ein oder andere Prestigecuvée kommt nun in Reichweite. Einfach mal wagemutig sein und was probieren!


Zu Weihnachten droht zwar die Reizüberflutung in Bezug auf Speisen und Getränke, aber es ist immer noch besser als Silvester. Da versuchen Sie krampfhaft um genau Mitternacht eine Flasche mit dem Säbel (also für die meisten Leute ein großes Küchenmesser) zu enthaupten und wenn sie es nach dem zehnten Versuch geschafft haben sich selbst lächerlich und die Flasche aufzumachen schießt die Hälfte des Inhaltes in die Nacht hinein und klatscht unwürdig auf den Boden. Die andere Hälfte der Flasche verteilen Sie dann auf die eh schon abgefüllten Gäste und mit dem letzten Schluck des teuren Champagners stehen Sie dann in der Kälte zwischen explodierenden Böllern und Rauch. Vom Feuerwerk bleibt da schnell genauso viel übrig wie von Ihrer Champagnerlaune. Da tut einem dann die Champagnerseele weh (sofern man eine hat) und bevor man nun den eigenen Freunden Champagnerverschwendung vorwirft, sollte man evtl. einfach auf Sekt (oder Gott bewahre: irgendwelchen Frizzante) umsatteln im nächsten, also im gerade begonnen, Jahr.

Aber so weit sind wir noch nicht. noch ist es nicht zu spät. Und Champagner kann man auch bestellen, muss man sich nicht in Geschäften mit dem Pöbel rumstreiten während Last Christmas auf einen eindröhnt. In diesem besinnlichen Sinne: Frohes Fest!
tl;dr
Wenn man schon auf Weihnachten wartet für Champagner, dann wenigstens vernünftiger Champagner.

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