Keine Angst vor Dosage

Süße(re) Champagner für Spaß und Profit




Keine Angst vor Dosage

Süße(re) Champagner für Spaß und Profit

Mancherorts, nicht nur in Deutschland, hat sich ja die Unsitte am Leben gehalten, Schaumwein zum Dessert einzuschenken, mitunter sogar Champagner. Das Dinner ist fast geschafft, das Hochzeitsessen neigt sich dem Ende entgegen und obwohl man eigentlich nichts mehr essen mag, geht das Dessert halt doch immer noch irgendwie rein. Spätestens wenn man die Korken knallen hört setzt die Champagnervorfreude ein. Das Strahlen auf den Gesichtern weicht dann allerdings einer leicht unterdrückten Grimasse wenn die süße Nachspeise auf den Brut Champagner trifft. Das Dessert wandelt sich von angenehm süß zu klebrig und zuckrig und der eben noch elegante und hochfeine Champagner wird zum geifernd um sich beißenden Säurebiest. Gern auch mit einem schön unangenehmen Bitterton im Abgang. Voila, die Kunst zwei Dinge gleichzeitig zu ruinieren. Wenige Weine sind ungeeigneter für Süßspeisen als Brut Champagner. Brut Nature Schäumer vielleicht noch. Selbst wenn man komplementäre Wein-Speisen-Kombinationen den gleichartigen vorzieht, sollte man davon also die Finger lassen. Etwas besser steht der Rosé Champagner da, weil elegante, beerige Fruchtigkeit zumindest zu manchen Desserts passt. Zumindest mit einem gefälligen und süffigen Rosé d’Assemblage könnte das also was werden. Die zu mehr Würze tendierenden Rosés de Saignee bleiben also ebenfalls außen vor.

Ideal ist das Alles natürlich noch nicht. Aber da muss es doch was geben! Und woher kommt eigentlich die Tradition, Champagner zum Dessert zu trinken? Das sind ja schließlich keine Einzelfälle. Traditionen stammen traditionsgemäß aus der Vergangenheit, manche älter als andere, aber immer von früher. Und früher trank man halt den Champagner noch mit deutlich mehr süße als heute. Was dann halt zum Dessert passt. Im Laufe der Zeit ist der süße Champagner dann aus der Mode gekommen. Warum genau, das verliert sich im Dunkel der Geschichte. Die Gründe sind sicher vielfältig, komplex und haben allesamt gemeinsam, dass sie mir unbekannt sind. Jedenfalls gibt es heute fast keine süßen Champagner mehr. Fast, weil nicht ganz Gallien der höheren Dosage abgeschworen hat. Richtig süße Champagner, also Doux mit 50+ Gramm pro Liter, sind sehr sehr selten geworden. Aber der Sec und Demi-Sec Bereich wird immer noch überraschend gut bedient. Der Massenmarkt wird versorgt durch die drei ganz Großen. Moet hat gleich zwei Demi-Secs im Angebot. Die gelbe Witwe hat neben dem Demi-Sec noch die Rich Linie mit gleich drei Sec Champagnern (Rich, Rich Rose und Vintage Rich). Und auch im Sortiment von Nicolas Feuillatte, Nummer drei nach Absatzvolumen, findet sich mindestens ein Demi-Sec. Es ist also überraschend einfach eine Flasche aufzutreiben. Auch Produzenten mit völlig unzweifelhaftem Ruf sind nicht untätig, zum Beispiel hat Pol Roger einen ebenfalls Rich genannten Demi-Sec im Angebot. Selbst für kantige Individualchampagner bekannte Winzerikonen wie George Laval haben bisweilen einige Demi-Sec im Keller und Verkauf. Gibt es hier etwa einen Trend den wir übersehen haben? Wohl kaum. Der Trend geht weiter Richtung weniger Dosage, Richtung Brut Nature, nicht nur bei Weinfreaks. Aber zumindest das Verlangen etwas anderes als den üblichen Brut Champagner zu trinken ließe sich verallgemeinern. Aber ganz egal warum, schön jedenfalls, dass es die höheren Dosagen noch gibt.

Und bums, schon haben wir einen Champagner den wir auch ganz entspannt zum Dessert reichen können. Keine verzogenen Gesichter, außer vielleicht bei den Brut Nature Ultras. Aber die sollten das mit der Unverträglichkeit zwischen Champagner und Dessert eigentlich wissen. Das die pappig-süßen Billigweine und die übermäßig dosierten Supermarkt Sprudelweine bekämpft gehören, keine Frage. Nieder mit dem halbtrockenen Vino Frizzante aus dem untersten Regal! Aber die Spezialexperten aus der Champagne setzen uns ja hier keinen Fruchtsirup vor, sondern sorgfältig zusammengestellte Cuvées, bei der gelben Witwe zum Beispiel landet im Vintage Rich die gleiche Cuvée wie im Vintage Brut. Und überhaupt, höhere Dosage und süßer heißt ja nicht automatisch süß. Die Weine sind eher fruchtig und saftig und die Säure ist etwas gezähmt, aber weiterhin lebendig. Das man die Zuckerwerte beim Schaumwein anders behandelt als beim Stillwein hat schon seine Gründe. 32 Gramm pro Liter, also gerade so kurz vor Demi-Sec beim Schaumwein, wären beim Stillwein schon recht süß. Die relativ frühe Ernte beim Champagner und natürlich die Kohlensäure lassen grüßen. Der sensorische Eindruck ist also eher fruchtbetont und sicher nicht zuckrig oder ohne jegliche Frische. Denken Sie an einen feinherben Moselkabinett. Mit Sprudel. Und keine Angst, das schmeckt besser als es klingt. Es bleibt sehr guter Champagner (also wenn die richtig trockenen schon gut waren) der nur einen anderen, ungewohnten Stil fährt.
Und es bedient einen Aspekt der bei Champagner meist leider etwas zu kurz kommt, nämlich die Speisenbegleitung. Da Champagner immer nur als Partybrause oder, etwas feiner, als Aperitif eingesetzt wird, kommt die Kombination mit richtigem Essen leider etwas zu kurz. Bei vielen Gerichten gibt es natürlich auch eine starke Konkurrenz. Da die Kombination beim Brut Champagner eh schon etwas schwerer fällt als beim stillen Wein und dann auch noch sehr vom individuellen Stil abhängt, greift man halt doch eher zum altbekannten Roten oder Weißen. Auch hier hätte es Champagne Rosé eigentlich etwas leichter, weil er flexibler und im Grunde wie Rosé ohne Schaum als Allrounder tauglich ist. Nur trauen ihm wohl viele Weintrinker nicht eben viel zu. Aber der höher dosierte, ob leicht oder deutlich, Champagner hat das Glück ziemlich genau zu wissen wo er hinpasst, weil er die Rolle eines vergleichbaren Weißweins übernehmen kann. Zum Dessert trinken ist dabei nur eine Variante. Ein üppiges Produkt, wie zum Beispiel eine Foie Gras, in welcher Form auch immer, verträgt auch einen üppigen Wein und ein Sec oder Demi-Sec Champagner bietet ja genau das. Das ist meiner bescheidenen Meinung nach sogar besser als z.B. ein Sauternes, der ja Klassischerweise auch gerne zur Stopfleber gereicht wird. Die Frische macht’s, denn selbige belebt auch angestaubte Traditionsgerichte. Und so passt der üppige Champagne (Demi-)Sec nicht mehr so wirklich zu Austern aber dafür eröffnet sich die Welt der Crèmes und Saucen, von hellem Fleisch und Käse.

Da haben wir es also, ein unterschätzter Wein, der als perfekter Speisenbegleiter auch noch den Horizont erweitert und die Champagnerwelt in doppelter Hinsicht bereichert. Und wenn alle Stränge reißen, kann man immer noch erzählen, das man ja schließlich Früher den Champagner auch so getrunken hätte.
tl;dr
Champagner auch mit höherer Dosage geilo, also Sec oder Demi-Sec, am besten zum Essen.

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